Eine vertonte Zusammenfassung der Pressekonferenz am 15.11.2019 inkl. Originalaufnahmen.
Vor 23 Jahren geschah in Grevenbroich-Hemmerden ein Verbrechen, das bis heute bei den Menschen vor Ort in der Region, aber auch bei Polizei und Staatsanwaltschaft nicht in Vergessenheit geraten ist. Die damals elfjährige Claudia Ruf wurde entführt und kurze Zeit später ermordet aufgefunden. Seinerzeit konnte kein Täter ermittelt werden. Nun haben die Mordermittler aus Bonn und Neuss sowie die Profiler und Profilerinnen des Landeskriminalamtes NRW den Fall neu aufgerollt.
Bei einer Pressekonferenz am 15.11.2019 im Kreishaus Grevenbroich berichteten die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach, die Bonner Polizei, die Polizei des Rhein-Kreis-Neuss und das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen über den aktuellen Ermittlungsstand und die geplanten Maßnahmen. Zu Beginn der Pressekonferenz erläuterte Oberstaatsanwältin Carola Guddat warum die strafrechtliche Ahndung dieses Verbrechens auch nach 23 Jahren noch möglich ist.
Carola Guddat: „Warum können wir überhaupt nach so langer Zeit noch tätig werden? Die Tat geschah im Jahr 1996, d. h. sie ist jetzt 23 Jahre her, fast im Mai 24 Jahre und da kann man sich natürlich die Frage stellen, ist überhaupt, wenn man den Täter findet, noch eine Strafverfolgung möglich, sprich eine Ahndung der Tat? Hierfür muss man sich die Frage stellen, wie ist die Tat rechtlich einzuordnen. Wir haben hier ein Tötungsdelikt zum Nachteil eines elfjährigen Mädchens und nach dem aktuellen Erkenntnisstand ist dieses Tötungsdelikt als Mord einzustufen nach § 211 Strafgesetzbuch und das bedeutet, dass diese Tat nicht verjährt, jedenfalls was diesen Tatvorwurf angeht, das ist in § 78 Abs. 2 Strafgesetzbuch geregelt. Verbrechen, die den Tatbestand des Mordes erfüllen, verjähren nicht. D. h. eine Ahndung wird dadurch begrenzt, dass möglicherweise irgendwann der Täter verstorben ist.“
Über den Fall Claudia Ruf:
Am Samstag, den 11. Mai 1996, ging die zu diesem Zeitpunkt elfjährige Claudia Ruf gegen 18:15 Uhr zusammen mit einem Nachbarshund in Grevenbroich-Hemmerden spazieren.
Sie dürfte dem Täter zwischen 18:25 und 18:50 Uhr am Ortsrand oder im Ort Hemmerden begegnet sein. Der Hund kehrte gegen 18:50 Uhr alleine zurück. Sein Verhalten lässt darauf schließen, dass er gewaltsam vom Täter vertrieben wurde. Die Eltern und Nachbarn leiteten sofort umfangreiche Suchmaßnahmen ein.
Am darauffolgenden Montag fand ein Spaziergänger im 70 km entfernten Euskirchen-Oberwichterich die Leiche von Claudia. Ihr Leichnam war mit Benzin übergossen und angezündet worden. Trotz intensiver polizeilicher Ermittlungen unmittelbar nach der Tat, aber auch in den darauffolgenden Jahren, ist es bisher nicht gelungen, einen Täter zu identifizieren.
Doch nun haben sich neue Ansatzpunkte ergeben, berichtet der Leiter der Bonner Mordkommission Erster Kriminalhauptkommissar Reinhold Jordan: „Laut Profiler des Landeskriminalamtes Düsseldorf kam es jetzt zu einer Neubewertung dieser Gesamtsituation. Unter Einbeziehung auch der Ermittlungen der Mordkommission, die über viele Jahre gelaufen ist, kam man dann dazu, dass man sagte, die Person, der Täter, wird aus dem Umfeld gekommen sein. Er wird einen starken Bezug zu dem Bereich Hemmerden, zu der Ortschaft haben, indem er da wohnt oder sich eben dort häufig aufgehalten hat. Einen starken Ankerpunkt haben… denkbar ist, dass die Claudia bei dem Spaziergang auf die Person getroffen ist, an seiner Örtlichkeit vorbeigekommen ist und der Täter sie vielleicht mit einem Leckerli für den Hund angelockt hat. Oder der Täter die Möglichkeit hatte, sie in einen nahegelegenen Raum von sich selber zu verbringen und dort die Claudia letztendlich auch zu töten. Wir gehen davon aus, dass die Claudia am gleichen Tag am gleichen Abend noch getötet wurde und wir gehen auch davon aus, dass sie dann durch den Täter mit dem Auto nach Euskirchen-Oberwichterich verbracht worden ist.“
Neben dieser neuen Bewertung durch die Profiler des Landeskriminalamtes und die Ermittler der Mordkommission haben sich in den vergangenen Jahren aber auch die Untersuchungsmethoden im Bereich der DNA-Analyse deutlich verbessert.
„Über die Jahre haben wir immer versucht, die Spurenlage weiter zu verbessern. Dies ist uns dann auch schließlich 2008 gelungen, indem wir erstmals tatrelevante DNA am Körper der Claudia gefunden haben oder nachweisen konnten. In der Folge kam es zu einer Überprüfung von ca. 350 Personen, die schon in den ersten Jahren von der Polizei als sogenannte Spuren überprüft worden sind. Deshalb wurden sie von uns gebeten, eine Speichelprobe abzugeben. Das ist auch in allen Fällen so durchgeführt worden, aber es konnte kein Nachweis einer Täterschaft erbracht werden.
Über die Weiterentwicklung der DNA-Untersuchung haben wir dann 2017 über einen DNA-Reihenuntersuchungsbeschluß nochmal erneut alle Personen, die im Bereich Großraum Euskirchen und Grevenbroich wohnhaft waren und die als Sexualstraftäter irgendwann einmal in Erscheinung getreten sind. Auch hier wurden über 120 Personen überprüft. Sie gaben ihre DNA- oder Speichelprobe ab, auch dies verlief negativ. Nunmehr haben wir noch durch weitere verfeinerte Methoden bei der DNA-Untersuchung es jetzt geschafft, eine neue DNA-Reihenuntersuchung anzustreben, um jetzt im Bereich Grevenbroich-Hemmerden den örtlichen Täter zu suchen.“
Zu den rechtlichen Voraussetzungen einer DNA-Reihenuntersuchung informierte Oberstaatsanwältin Carola Guddat:
„Was die Maßnahme angeht, die nun erfolgen soll, so richtet sich diese nach §81h, Strafprozessordnung. Und was sind die Voraussetzungen hierfür?. Wir brauchen zunächst eine schwerste Straftat, wie eben eine Straftat gegen das Leben. Das haben wir hier mit dem Tötungsdelikt. Dann müssen wir Prüfungsmerkmale festlegen, das basiert hier vorliegend auf den Ergebnissen und den neuen Erkenntnissen der operativen Fallanalyse des Landeskriminalamtes. Das kann z. B. betreffen das Geschlecht des Täters, das kann das Alter betreffen oder eine örtliche Bindung zum Tatort oder sonstiges. Im Weiteren stellt man sich die Frage, wie kommen wir dann an die betreffenden Personen, die eingeladen werden sollen, um eine entsprechende Speichelprobe abzugeben. Da hilft uns die sogenannte Rasterfahndung weiter. Das ist eine Maßnahme nach §98 a und b der Strafprozessordnung, die uns ermöglicht, Personen, die eben diese Prüfungsmerkmale erfüllen, dann in einem automatisierten Abgleich festzustellen. Das richtet sich dann an die entsprechenden Behörden, die diese Daten vorhalten, das ist in diesem Fall die Stadt Grevenbroich. Wie geht es dann weiter, wenn wir diese Personendaten haben? Dann können wir, und das ermöglicht uns dann der §81h Strafprozessordnung, diesen Personen Körperzellen entnehmen. In aller Regel findet das im Rahmen einer Speichelprobe statt. Wie können dann diese Zellen untersucht werden? Zum einen werden dann festgestellt, die DNA-Identifizierungsmuster dieser Personen selbst und dann erfolgt ein Abgleich. Dann erfolgt der Abgleich nämlich mit den Spuren, die sichergestellt worden sind. Der Abgleich erfolgt dann in der Weise, dass diese Spurenprobe von dieser Person stammt, die die Spur hinterlassen hat. Und das ist jetzt das Neue, das ist die neue gesetzliche Regelung, die uns die neue Maßnahme jetzt ermöglicht: Der Abgleich kann dann auch erfolgen, ob die Probe, die abgegeben worden ist nicht von der Person selber stammt, sondern von einem Verwandten und zwar von einem Verwandten in gerader Linie oder der Seitenlinie bis zum dritten Grad. Das ermöglicht jetzt die Neuregelung des §81h Strafprozessordnung, die seit August 2017 Gültigkeit hat. Voraussetzung hierfür ist natürlich eine Blutsverwandtschaft, schwägerschaftliche, d. h. angeheiratete Verwandte lassen sich darüber naturgemäß nicht erkennen.“
Das im Labor erstellte DNA-Profil lässt also die direkte Spurenzuordnung sowie die Feststellung von Verwandtschaftsverhältnissen zum Spurenverursacher zu. Informationen über körperliche Merkmale, z. B. Haut- oder Haarfarbe oder Erbkrankheiten der Teilnehmer werden daraus nicht abgeleitet.
Informationen zur Untersuchungsmethode sowie zur Beweiskraft der gesicherten DNA-Spur gab auch der DNA-Experte Dr. Dirk Porstendörfer vom Landeskriminalamt NRW:
“Es ist nun so, dass männliche DNA vom Körper der Claudia isoliert werden konnte und DNA typisiert werden konnte. Spurenkundlich ist diese DNA als tatrelevant einzustufen, zumal auch sämtliche bekannten berechtigten Personen, das sind vornehmlich die Personen, die im Laufe dieser ganzen Jahre kriminaltechnische Untersuchungen an Asservaten durchgeführt haben, aber auch die Spurensicherer, als Spurenverursacher auszuschließen sind. Die festgestellte DNA ist nunmehr die Grundlage für die anstehenden Reihenuntersuchungen. Die Änderung des §81h Strafprozessordnung ermöglicht jetzt nicht nur den direkten Abgleich einer Person mit einer Spur auf Identität, d. h. die Feststellung, ob eine Spur hinsichtlich sämtlicher DNA-Merkmale auch mit den DNA-Merkmalen einer Person, die zum Reihenscreening bzw. zur Reihenuntersuchung kommen wird, übereinstimmt und somit ihr zuzuordnen ist, sondern es ist nunmehr auch möglich, festzustellen, ob diese Person in einem engen genetischen verwandtschaftlichen Verhältnis zum noch unbekannten Spurenleger steht.“
Wer wird nun zur DNA-Reihenuntersuchung eingeladen? Mit Beschluss des Amtsgerichtes Mönchengladbach werden alle Personen um eine Speichelprobe gebeten, die dem Täterprofil entsprechen.
Der Leiter der Mordkommission Reinhold Jordan erklärt, wer dem Personenkreis angehört:
„Gleichzeitig haben wir jetzt 1.600 männliche Personen zwischen 14 und 70 Jahren, die 1996 oder davor im Bereich Hemmerden gewohnt haben oder amtlich gemeldet waren, identifiziert. Von den 1.600 sind 800 Personen noch im direkten Bereich von Hemmerden oder Grevenbroich oder dem nahe Umfeld wohnhaft. Diese Personen werden jetzt von uns eine Einladung bekommen, um an der Speichelprobenaktion teilzunehmen. Warum die männlichen Personen zwischen 14 und 70? In Absprache mit den LKA-Profilern haben wir gesagt, auch ein damals 14-Jähriger kann diese Tat begangen haben. Ein 14-Jähriger ist durchaus in der Lage im Anschluss vielleicht ein Kraftfahrzeug zu führen. Vorstellbar ist aber auch, dass er jemanden bzw. eine vertraute Person eingeweiht hat und sie bei der Beseitigung der Leiche geholfen hat. Deshalb auch das Alter von 14 Jahren. Und ein 70-Jähriger ist auch dazu in der Lage, ein solches Tötungsdelikt noch hinzulegen.“
Was geschieht mit meinen Daten, meinem DNA-Profil und mit meiner Speichelprobe? Ihre Speichelprobe wird anonymisiert zum Landeskriminalamt NRW gesandt. Nach dem Abgleich mit der tatrelevanten DNA werden die Speichelprobe und Ihre persönlichen Daten vernichtet. Ihr DNA-Profil wird also nur für diesen Einzelfall verwendet. Es findet weder eine Speicherung noch ein Abgleich mit anderen Fällen statt.
Bin ich zur Teilnahme verpflichtet, wenn ich eingeladen werde? Die Entnahme Ihrer Speichelprobe kann nur dann erfolgen, wenn Sie die Einverständniserklärung unterschreiben. Wir bitten um Ihre Mithilfe, weil das Verbrechen dadurch möglicherweise aufgeklärt werden kann.
Ein Appell, den auch der Leiter der Direktion Kriminalität der Bonner Polizei, Norbert Wagner, an die Bevölkerung Hemmerden richtet: „Sie sehen doch, dass wir für Transparenz und Offenheit sind. Das heißt, wir haben dargestellt, welche Möglichkeiten und auch vor allen Dingen welche neuen Möglichkeiten wir haben. Dass wir eine neue Chance haben und natürlich, auch ein bisschen nach 23 Jahren, reißen wir möglicherweise die eine oder andere alte Wunde wieder auf, ist es uns und ich denke uns allen wert, diese Chance zu nutzen. Von daher wünschen wir uns wünsche ich mir, dass die eingeladenen Männer diese Speichelprobe mit unterstützen.
Auch Claudias Vater wendet sich mit einem Appell, einem Aufruf an die Menschen in Hemmerden:
“Ich möchte heute insbesondere meine Mitmenschen in Hemmerden um Hilfe bitten. Viele von Ihnen wissen, dass ich in Hemmerden geboren wurde. Gemeinsam mit meinen damaligen Freundinnen und Freunden bin ich dort behütet aufgewachsen. Ich habe in Hemmerden ein Haus gebaut und dachte, dass auch meine Kinder in diesem Dorf behütet aufwachsen können. Das war leider nicht so.
Jetzt, nach so langer Zeit, nach mehr als 23 Jahren, besteht die große Chance, dass das so traurige Schicksal meiner Tochter Claudia aufgeklärt wird. Bitte helfen Sie der Polizei. Bitte helfen Sie mir. Es ist eine sehr lange Zeit vergangen, aber bitte denken Sie noch einmal darüber nach, ob Ihnen damals in ihrem Umfeld etwas aufgefallen ist. Teilen Sie dies unbedingt der Polizei mit.
Gehen Sie bitte zum DNA-Test und geben Ihre Speichelprobe ab, wenn Sie eine Einladung dazu erhalten haben sollten. Wenn Sie nicht hingehen, dann nützt das nur einem. Dem, der meiner erstgeborenen, damals elf Jahre alten Tochter Claudia das Leben genommen hat.
Er muss sich endlich erklären. Er hat sich lange genug hinter uns allen verstecken können.
Ihnen allen vielen Dank für Ihre Hilfe!"
Die Staatsanwaltschaft hat für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen 5.000 Euro Belohnung ausgelobt. Hinweise werden über das Hinweisformular auf der eigens geschalteten Website (https://bonn.polizei.nrw/MKRuf) oder das Hinweistelefon der Polizei (02131/300-25252) oder von jeder Polizeidienststelle entgegengenommen.
Helfen Sie, den Mord an Claudia Ruf aufzuklären!